Vor Gericht: Streikrecht von Beamt*innen

Die ehemalige Lehrerin aus NRW Monika Dahl zieht vor das Bundesverfassungsgericht

Vor dem Bundesverfassungsgericht kämpft die ehemalige beamtete Lehrerin und Gewerkschafterin Monika Dahl für ein Beamt*innenstreikrecht. Vertreter*innen der GEW NRW begleiten die Verhandlung.
Vor Gericht: Streikrecht von Beamt*innen

Foto: rcfotostock/Fotolia

Vor Gericht: Streikrecht von Beamt*innen

Klägerin Monika Dahl (Mitte) wurde vor Gericht von GEW-NRW-Justiziar Mario Sandfort und Ute Lorenz, Referentin für Beamt*innen- und Angestelltenrecht und Mitbestimmung der GEW NRW, unterstützt. Foto: privat

Monika Dahl war leidenschaftliche Lehrerin, überzeugte Gewerkschafterin und auch Beamtin. Als diese Kombination zum Problem wird, klagt sie mit Unterstützung der GEW NRW vor dem Bundesverfassungsgericht für das Streikrecht von Beamt*innen. Die mündliche Verhandlung beginnt am 17. Januar 2018 in Karlsruhe. Im Interview erklärt Monika Dahl ihre Gründe.

Warum klagst du vor dem Bundesverfassungsgericht?

2009 rief die GEW NRW zum Streik auf, weil die Arbeitsbedingungen immer schlechter wurden: Abschaffung der Altersteilzeit, Arbeiten bis 67, unterschiedliche Bezahlung von Lehrkräften je nach Schulform – um nur einige Punkte zu nennen. Ich war damals GEW-Vizevorsitzende im Rhein-Sieg-Kreis und auch in Bonn sollte gestreikt werden. Es sollte eine medienwirksame Demo geben mit Aktionen und Streikliedern.

Auf einem Vorbereitungstreffen bastelten etwa zehn Gewerkschafter*innen liebevoll an einem Protest-Bollerwagen und Paketen, die in der Müllverbrennungsanlage in Bonn entsorgt werden sollten. Der ganze Gesetzesmüll der schwarz-gelben Landesregierung – all das sollte weg. Mit einer kleinen Musikkombo haben wir auf die Schnelle zwei Streiklieder einstudiert. Da wurde mir klar, dass ich als Beamtin nicht nur vorbereiten, sondern auch beim Streik dabei sein wollte – schräg kostümiert und schräg singend.

Wir schafften es sogar in die Presse und ins Fernsehen. Auch zu den folgenden zentralen Großdemos in Düsseldorf habe ich Kolleg*innen motiviert mitzufahren. Wir waren es leid, immer nur alles hinzunehmen und ich wollte die Angestellten unterstützen und zeigen: Wenn wir viele sind, dann erreichen wir auch was. Es wurden die bis dahin größten Proteste von Lehrer*innen in NRW.

Die Bezirksregierung hat mir daraufhin eine satte Geldbuße von 1500,- Euro aufgebrummt und mit weiteren Disziplinarmaßnahmen gedroht wie zum Beispiel einer dauerhaften Gehaltskürzung. Das war eine ungemein hohe Strafe und sollte ganz offenbar einschüchtern und abschrecken. Das wollte ich mir nicht gefallen lassen und habe mit der GEW an meiner Seite dagegen geklagt.

Das sagt das Gesetz dazu: Die Verfassungsrechtler*innen in Deutschland begründen das beamtenrechtliche Verbot, an kollektiven Kampfmaßnahmen wie Streiks teilzunehmen mit den sogenannten hergebrachten Grundsätzen des Beamtenrechts. Dafür steht Artikel 33 Absatz 5 Grundgesetz (GG): „Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.“

Die Richter*innen, zuletzt die Vorinstanz – in diesem Fall das Bundesverwaltungsgericht im Februar 2014 –, sind (bisher) der Auffassung, dass ein umfassendes Recht auf Tarifverhandlungen und kollektive Kampfmaßnahmen mit tragenden Strukturprinzipien der durch Artikel 33 Absatz 4 und 5 GG gewährleisteten Institution des Berufsbeamtentums unvereinbar ist.

Warum sollten Beamt*innen aus deiner Sicht auch wie ihre tarifbeschäftigten Kolleg*innen streiken dürfen?

Für mich als Gewerkschafterin ist Streiken ein Grundrecht und das fordere ich mit meinen Kolleg*innen in Karlsruhe ein. Es kann nicht sein, dass in einer Schule nur die angestellten Lehrkräfte zum Streik gehen dürfen und es den beamteten Kolleg*innen verboten ist, für ihre Rechte zu kämpfen. Diese Spaltung des Kollegiums muss aufgehoben werden – es muss mehr Gerechtigkeit ins Lehrerzimmer. Wenn alle Lehrkräfte einer Schule beim Streik dabei wären, dann könnte man in den Tarifrunden mal so richtig den Druck erhöhen. Dann ist am Streiktag die Schule dicht, weil alle Lehrkräfte für ihre Rechte auf die Straße gehen.

Das sagt das Gesetz dazu: In Artikel 33 Absatz 4 und 5 GG steht nichts ausdrücklich zu einem Streikverbot. Dagegen steht in den Grundrechten, also in den ersten 19 Artikeln des Grundgesetzes, und hier in Artikel 9 Absatz 3 GG: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, (…)“ und Arbeitskämpfe führen zu dürfen, also das Recht Gewerkschaften zu gründen und für seine Arbeitsbedingungen zu streiken.

Verfassungsrechtler*innen, wie beispielsweise Professor Dr. Ulrich Battis, emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Humboldt-Universität Berlin, sehen im Hinblick auf die Regelungen der Europäischen Menschenrechtskonvention das Streikverbot für alle Beamt*innen für nicht mehr zu rechtfertigen.

Wie waren die Reaktionen auf deine Klage?

Die Reaktionen waren durchweg positiv. Diese Klage ist ein Pilotprojekt, denn es ist die erste zum Beamt*innenstreikrecht, die durch alle Instanzen geführt wird. 2009 war das Thema für alle juristisches Neuland. Der Freispruch in Düsseldorf 2010, der mit der Schlagzeile „Beamte dürfen streiken“ durch die Presse ging, war ein Riesengeschenk auf diesem Weg. Beamtete Kolleg*innen verfolgen den Prozess sehr neugierig und fragen bei der GEW NRW an, weil sie endlich streiken wollen, ohne Repressalien fürchten zu müssen.

Das sagt das Gesetz dazu: Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster (OVG), hat diesen „Freispruch“ 2012 aufgehoben. Es begründet dies wie folgt: „Die Klägerin hat durch ihre ungenehmigte Teilnahme an den Streiks gleich in vierfacher Hinsicht gegen die ihr obliegenden Dienstpflichten verstoßen.“ Diese vier Pflichtverstöße sind nach Ansicht des OVG:

  1. Dienstpflicht, sich mit voller Hingabe ihrem Beruf zu widmen (§ 34 Satz 1 BeamtStG)
  2. Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG)
  3. Dienstpflicht, nicht ohne Genehmigung dem Dienst fernzubleiben (§ 62 LBG)
  4. Gehorsamspflicht (§ 35 Satz 2 BeamtStG)

Diese Pflichtverstöße werden jedoch alle letztlich mit dem verfassungsrechtlichen Streikverbot begründet. Wenn es kein Verbot zu streiken gibt, kann auch nicht gegen diese vier Beamt*innenpflichten verstoßen werden.

Welches Ergebnis erwartest du von der Verhandlung?

Ich erwarte eine Aufhebung des Beamt*innenstreikverbots durch den Gesetzgeber. Das ist längst überfällig und würde die Grundrechte der Lehrkräfte stärken und die Gewerkschaften ganz allgemein.

Das sagen Jurist*innen der GEW NRW dazu: 2014 sah das Bundesverwaltungsgericht einen offensichtlichen Widerspruch zwischen dem für Deutschland bindenden internationalen Recht, also die Europäische Menschenrechtskonvention, und dem nationalen Verfassungsrecht. Das Bundesverwaltungsgericht vertritt die Auffassung, dass dieser Widerspruch nur durch den Gesetzgeber aufgelöst werden kann. Bis dahin allerdings gelte das Beamt*innenstreikverbot fort.

Als sich die Bundesregierung Anfang 2015 erneut wegen des Beamt*innenstreikverbots vor der International Labour Organization (ILO) rechtfertigen musste, zog sie sich darauf zurück, dass sie dem Bundesverfassungsgericht nicht vorgreifen wolle. Da Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte grundsätzlich auch auf die Bundesrepublik Deutschland angewendet werden, war das der richtige Zeitpunkt, das Beamt*innenstreikrecht gerichtlich überprüfen zu lassen. Dass Lehrkräfte nicht hoheitlich tätig sind, ist heute weitgehend unstrittig, daher sind die Aussichten auf einen Erfolg nicht schlecht. Genaue Vorhersagen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind dennoch nicht möglich.

Die Fragen stellte Jessica Küppers, Redakteurin im NDS Verlag.
Rechtliche Erläuterungen: Ute Lorenz, Referentin für öffentliches Dienstrecht, Beamtenpolitk und Mitbestimmung der GEW NRW